Hans Wissel - Bildhauer, Projekte

Hans Wissel (1897-1948) – Der „Blechplastiker“

Hans Wissel gehört zu den vergessenen Künstlern des 20. Jahrhunderts. Und das, obwohl täglich unzählige Blicke aus Zugfenstern seine Bauplastik auf dem Kölner Messeturm in Deutz streifen. Wissel schuf diese monumentalen, aus Kupferblech getriebenen Köpfe 1928 anlässlich der legendären PRESSA-Ausstellung. Trotz ihres exponierten Standortes kennt doch kaum jemand den Schöpfer der Plastik. Das soll sich ändern.

Bekrönung des Messeturms Köln-Deutz von Hans Wissel 1928, Foto: Christian Wissel

Wissel wurde als Sohn eines Goldschmieds in Magdeburg geboren und erhielt zunächst eine handwerkliche Ausbildung in der Werkstatt seines Vaters. Vom Kunstgewerbe her kommend fand Wissel in den frühen 20er Jahren zum großen Format. Sein charakteristischer Beitrag zur Moderne sind getriebene „Blechplastiken“. Diesen originellen Begriff prägte Wilhelm Lotz in einem frühen Zeitschriftenartikel über den Künstler. Von 1925 bis 1931 war Wissel Professor für Bildhauerei an den Kölner Werkschulen, wo Lotz Kunstgeschichte unterrichtete. Lotz soll später von Nazis ermordet worden sein. Wissel hingegen machte nach 1933 als Professor der Königsberger Akademie Karriere.

Zunächst galt mein Interesse Wissels Werken aus seiner Kölner Zeit. Seit langem ist die moderne Sakralkunst einer meiner Forschungsschwerpunkte. So weckten zunächst Wissels Beiträge zur Ausstattungen von Kirchen meine Aufmerksamkeit. In den 1920er Jahren arbeitete er mit namhaften Architekten wie Martin Elsässer, Dominikus Böhm und Otto Bartning zusammen. Den Kirchenbauer Bartning kannte Wissel wohl schon aus der Reformsiedlung Gildenhall, für die der Architekt einen Bebauungsplan entworfen hatte. Auf der PRESSA 1928 präsentierte Bartning seine bahnbrechende Stahlkirche. In enger Abstimmung mit Bartning schuf Wissel Kanzel und Kruzifix für diesen berühmten Sakralraum. Wissel hatte 1924/25 in Gildenhall ein Jahr verbracht, das ihn finanziell ruinierte. Aber künstlerisch war diese Zeit ein Gewinn, denn damals entwickelte er wohl sein Konzept figürlicher Treibarbeiten in großem Format. Schon vor seiner Berufung nach Köln und wahrscheinlich noch in Magdeburg entstand der aufsehenerregende Kruzifixus, der dann später in Böhms Neu-Ulmer Johanniskirche seinen Platz fand.

Kruzifixus St. Johann-Baptist Neu-Ulm von Hans Wissel,
Foto: Familienarchiv Wissel

Allerdings lernte ich diese eindrucksvolle Kreuzigungsdarstellung, die in ihrer Expressivität mit dem etwa gleichzeitig geschaffenen und heute verschollenen Kruzifixus von Ludwig Gies vergleichbar ist, erst einmal nur durch historische Schwarzweißfotos kennen. Bis zur kürzlich vollendeten Restaurierung der Neu-Ulmer Kirche war nämlich das Kunstwerk, in Einzelteile zerlegt und sozusagen inkognito, in einem Keller deponiert. Inzwischen ist es in die Kirche zurückgekehrt. Ein aufwändiges Metallretabel mit Emails, das in enger Zusammenarbeit mit Dominikus Böhm für die Kirche geschaffen wurde, blieb hingegen bis heute verschollen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Böhm Anweisung gegeben, es abzubauen und sorgfältig verpackt zu verwahren. Sein weiteres Schicksal bleibt ein Geheimnis.

Kruzifixus von Hans Wissel für Mainz-Bischofsheim,
Foto: Familienarchiv Wissel

Böhm schätzte seinen Kollegen Wissel in seiner Zeit an den Werkschulen so sehr, dass er den Pfarrer der Christkönigskirche von Mainz-Bischofsheim geradezu anflehte, Wissel den Auftrag für ein monumentales Kruzifix zu erteilen. Dies geschah und Wissels eindrucksvolle Blechplastik bildet heute immer noch den Schlussakkord in Böhms spektakulärer Raumschöpfung aus Beton. Vermutlich war es auch Böhm, der dem Protestanten Wissel den Auftrag für ein Tabernakelkreuz vermittelte, das sich heute noch in der Klosterkirche von Marienthal bei Wesel befindet. Pfarrer Augustinus Winkelmann machte Marienthal seit den 1920er Jahren zu einer Art Musterbeispiel moderner Sakralkunst. Dass auch Wissel mit einem prominenten Werk dort neben Thorn-Prikker und Campendonk vertreten ist, mag belegen, wie gut er in seiner Kölner Zeit vernetzt war. Allerdings wurde schon 1934 in einer einflussreichen Publikation zur modernen Kirchenkunst das Kruzifix zwar in situ abgebildet, aber in der Bildunterschrift nur Hein Wimmer als Schöpfer des Tabernakels erwähnt. In einem der jüngsten Aufsätze über Marienthal wird Wissel dann schließlich kommentarlos als Königsberger Künstler bezeichnet. Und das, obwohl die Kölner Zeit sicher seine bedeutendste Schaffensphase war.

Kriegerehrenmal Nikolaikirche Görlitz von Hans Wissel 1926 – Detail, Foto: Christian Wissel

Schon der Auftakt war vielversprechend gewesen: Wohl durch Vermittlung des damaligen Werkschuldirektors Martin Elsässer, der dann nach Frankfurt ging, erhielt Wissel 1926 den Auftrag, für die Kriegergedächtniskirche in Görlitz eine Plastik zu arbeiten. Elsässer gestaltete 1925/26 die dortige Nikolaikirche im expressionistischen Stil um. Mit der Raumfassung betraute er Prof. Paul Schröder, einen weiteren seiner Werkschulkollegen. Wissels Figurengruppe aus getriebenem Messingblech ist bis heute in situ erhalten. Dadurch empfahl sich die Nikolaikirche als Veranstaltungsort für eine Ausstellung unter dem Titel „Wiederentdeckt: Die Blechplastiken von Hans Wissel (1897-1948)“, die die Evangelische Kulturstiftung Görlitz e.V. dort vom 14. April bis 11. November 2018 in enger Zusammenarbeit mit dem jüngsten Sohn des Künstlers realisieren konnte. Ich war an den Planungen beteiligt und durfte auf der Vernissage mit einem Vortrag in das Werk Wissels einführen. Um unserer Arbeit für die Ausstellung ein wenig Dauer zu verleihen, veröffentlichte ich im Görlitzer Magazin. Geschichte und Gegenwart der Stadt Görlitz und ihrer Umgebung 2018 einen Aufsatz. Die Ausstellung verdankte sich der Initiative von Prof. Christian Wissel, der sich seinem früh verstorbenem Vater, den er nie wirklich kennenlernen konnte, über dessen Werk nähern wollte. Familie Wissel besitzt vor allem ein kostbares kleines Fotoarchiv, das gegen Ende des Krieges von Königsberg in den Westen gelangte, während der schriftliche Nachlass weitgehend verloren ging. Prof. Christian Wissel stellte mir sein Material großzügig und uneingeschränkt für meine Forschungen zur Verfügung. Dabei hatten wir uns auf etwas peinliche Weise kennengelernt. Und das kam so:

Ehrenmal für die SA in Magdeburg von Hans Wissel,
Foto: Familienarchiv Wissel

Nachdem Wissels Arbeiten der 1920er Jahre meine Aufmerksamkeit erregt hatten, recherchierte ich weiter. Offen gestanden war ich erschrocken, als ich dann auf Fotos eines Ehrenmales für die SA stieß. Dieses monströse, etwa sieben Meter hohe Monument schuf Wissel 1934 für den Domplatz seiner Heimatstadt Magdeburg. Die gelegentlich expressiven, oft abstrahierenden, aber mitunter auch spielerisch-witzigen Tendenzen seiner innovativen frühen Treibarbeiten waren hier einem in Stein gemeisselten, stark vergröberten neusachlichen Stil gewichen. Seine Professur an den Kölner Werkschulen hatte Wissel 1931 wegen finanzieller Schwierigkeiten der Stadt Köln verloren. Nun musste er sich verstärkt um Aufträge bemühen und verschmähte es nicht, sich den Nazis anzudienen. Im Oktober 1933 wurde er als Professor an die „Staatlichen Meisterateliers der Bildenden Künste“ in Königsberg berufen. Die Zeit der „Blechplastiken“ war nun vorbei. Fortan arbeitete Wissel vorzugsweise in Gips oder Stein und schuf vor allem Portraits historischer oder zeitgenössischer Persönlichkeiten. Diese heute ausnahmslos verschollenen Werke entsprachen dem regimekonformen Stilideal des Neoklassizismus. Dieser stilistische Wandel interessierte mich. Welchen Einfluss übten hier eventuell die Auftraggeber aus? Ließ sich am Beispiel Wissels etwas über nationalsozialistische Kunstpolitik lernen? Bei meiner Suche nach Informationen über das Magdeburger Ehrenmal für die SA geriet ich in ein etwas fragwürdiges „Forum für mitteldeutsche Geschichte“. Dort traf ich dann auf Prof. Christan Wissel, der aus genau demselben Grund mit dem gleichen Bauchgrimmen in diesem Umfeld recherchierte. So lernten wir uns kennen.

Seine inzwischen verstorbene Mutter habe immer von zwei als „entartet“ von den Nazis beschlagnahmten Werken ihres Mannes erzählt, erinnerte sich der Sohn. Ein weiblicher Torso war in der Tat in Berlin aus der Sammlung entfernt worden, über ein Sammeldepot der Nazis in den Besitz des Kunsthändlers in Güstrow gelangt und schließlich an die Berliner Nationalgalerie zurückerstattet worden, in deren Depot es sich heute noch befindet. Das zweite beschlagnahmte Werk sollte sich in der Kunsthalle Karlsruhe befunden haben. Diese Angabe ließ sich zunächst nicht verifizieren, obwohl die Geschichte der Kunsthalle während der Nazizeit gut aufgearbeitet ist. Der Name Hans Wissel fand sich nicht in den publizierten Listen. Später erfuhr ich, dass dort nur im Besitz der Kunsthalle befindliche Werke aufgeführt waren, Wissels Plastik aber tatsächlich in einer Sonderausstellung beschlagnahmt wurde. Es handelte sich um einen der aus Metallblech getriebenen Köpfe der 1920er Jahre.

Wissel hatte ihn unaufgefordert zusammen mit seinen neoklassizistischen Bildnisbüsten zur Ausstellung eingeschickt. Dort war das Werk von einer Kommission als „entartet“ beanstandet und konfisziert worden. Es blieb bis heute verschollen. Kein einziger der originellen, aus Metallblech getriebenen Köpfe, von denen wir durch Publikationen und Werkfotos aus dem Nachlass Kenntnis haben, konnte bislang aufgefunden werden. Ohnehin bleibt das bislang fassbare erhaltene Oeuvre Wissels schmal. Aber es macht anschaulich, wie nach 1933 künstlerische Individualität verkümmerte und der Schwung der Moderne gebrochen wurde.

Das in Zusammenarbeit mit dem Sohn des Künstlers entstandene Buch über den Bildhauer Hans Wissel wird voraussichtlich im Juni 2021 erscheinen.